Meine Haltung

„Jeder von uns muss selber darauf aufpassen, wie er mit Menschen umgeht, die anderer Meinung sind. Auch wenn man die Meinung unsäglich findet: Man muss lernen, eine Form von Respekt zu finden“, Juli Zeh

Mit Bedauern musste ich feststellen, dass in den letzten Jahren auch Teile der Sozialwissenschaften einem medial formulierten Bewusstsein folgen, das Differenzierung, Perspektivenwechsel und Ursachenforschung nicht aushält. Man reiht sich ein in rasch gefundenen „Wahrheiten“, die man mit bedrohlichem Nachdruck fordert.

Supervisorische Aufklärung heißt nicht nur, alle am Konflikt Beteiligten sprechen zu lassen, sondern zum Sprechen zu bringen, ihre Motive anzuhören, diese soweit wie möglich nachzuvollziehen, um dann die Schärfe und Wucht oder die Komplexität und Tiefgründigkeit eines Konfliktes zu verstehen. Behutsamkeit, Aushalten und vorsichtige Annäherung an die Wurzel des Konfliktes sind Qualitäten, die die introspektive Einfühlung benötigt und die rasche Verurteilung unmöglich macht. In der Sprache von Hannah Arendt heißt Verstehen „unvoreingenommen und aufmerksam der Wirklichkeit, wie immer sie aussehen mag, ins Gesicht zu sehen und ihr widerstehen“.

Aktuell werden die Selbstverständlichkeiten des demokratischen Diskurses zwar behauptet, aber subtil durch Moralisierung außer Kraft gesetzt, wenn man das Schema der Zuschreibung, wer und was das Gute und das Böse ist, vorschnell zu glauben kennt und absolut setzt. Es geht aber darum, den Konflikt auszuhalten und die Konfliktdynamik gründlich zu erforschen, um die Wahrnehmung zu erweitern und das Verständnis für die andere Seite anzuregen. Umso mehr ist es geboten, den übertriebenen Moralismus als Leitideologie unserer Zeit in Frage zu stellen. Mit Moral zu operieren, bringt vordergründige Sympathien. Man wirkt menschlich und empathisch. Das Moralisieren ersetzt aber die wirklichen Gefühle, die als die Triebfedern des Handelns gesucht und benannt werden müssen. Hinter dem Moralisieren versteckt sich oft ein nicht zu übersehendes Potenzial an Aggressivität, das beispielsweise eine „Entschuldigung“ fordert, aber tatsächlich die Verurteilung wünscht.

(der obige Text zitiert Aussagen von Dr. Wolfgang Wiegand, Prof. für Supervision, Personal und Organisationsentwicklung)